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Lebensweise des Hl. Franziskus

Unter Lebensweise eines Menschen verstehen wir doch im allgemeinen: wie verhält sich der/die Einzelne in seinem Leben, im Umgang mit seinen Angehörigen, mit den Freunden, Nachbarn usw. Wie geht jeder mit seinem Geld um, wie ist sein Lebensstil, d. h. sein Verhalten im täglichen Leben zu sich und dem Nächsten. Steckt dahinter nicht auch Lebensweisheit? Offenbart sich im Benehmen, im Denken und Handeln die Erziehung, die Erfahrungen im Alltag und natürlich auch der so genannte Zeitgeist, also auch die Anpassung an die Auffassung der Mitmenschen heute? Sicher wirkt die Erziehung prägend für den Menschen, aber auch der ständige Umgang, in welchen Kreisen er auch verkehren mag. In der Erziehung wird der Grundstein gelegt, ob der Mensch Gut und Böse unterscheidet. Die tägliche Erfahrung kann dieses Gefühl stärken, aber auch zerstören. Gefühl ist hier gleich zu setzen mit Gewissen.

Lieber Bruder, liebe Schwester, lassen wir jetzt erst einmal unsere bisherigen Lebensjahre, unser bisheriges Leben, in Gedanken Revue passieren. Können wir feststellen, dass sich Änderungen bei uns ergeben haben? Haben wir uns schon einmal gefragt, ob diese allein unseren Gedanken, unseren Vorstellungen oder unseren Wünschen zuzuschreiben ist? Eine Änderung, sicher eine wesentliche Änderung, ist bei jedem von uns eingetreten. Die Berufung, dem III. Orden des hl. Franziskus anzugehören. Und genauso ist es Franziskus ergangen! Franziskus entstammte einem Elternhaus, in dem er keine finanziellen Probleme hatte. Franziskus erlebt Gotteserfahrung; er erfährt Gott als Licht. Er glaubt in augustinischer Tradition stehend, dass Erkenntnis Erleuchtung ist, ein Hellwerden des Geistes durch die Einwirkung Gottes, dessen Wesen Licht ist. Ohne dieses Licht Gottes gibt es keine Erkenntnis. Franziskus glaubt das schon in den Tagen seines Lebens, wenn er im Gebet vor dem Kreuz in San Damiano, das heute in der Kirche St. Chiara hängt, spricht: „Höchster, herrlicher Gott, erleuchte die Finsternis meines Herzens. Gib mir echten Glauben, sichere Hoffnung, vollkommene Liebe, Sinn und Erkenntnis, Herr, damit ich erfülle deinen heiligen und wahren Auftrag“.

Franziskus erfährt Gott als Liebe, denn in seiner Vaterunsererklärung heißt es: „Du entflammst die Engel und Heiligen zur Liebe. Denn Du, Herr, bist die Liebe“. Der erste Fingerzeig Gottes, das erste tiefe Erlebnis zum Herrn, hatte Franziskus im Jahre 1205. Das Hören des Evangeliums am 24. Februar 1209 – vgl. Mt 10,5-14 und Mk 6,5-13) ist einer der Liebesbeweise Gottes und er erkennt: Das ist es, was ich suche!

Franziskus kehrt sein finanziell abgesichertes Leben als Kaufmann oder als angehender Ritter um. Er ändert durch das Eingreifen Gottes seine Lebensweise. Er gibt seinem Vater vor dem Bischof von Assisi seine Kleider zurück und erklärt in aller Öffentlichkeit: Mein Vater ist ab jetzt der Vater im Himmel! Können wir z. B. dieses Verhalten, diese Aussage uns in unserer heutigen Zeit vorstellen? Wie würde unsere Familie, unser Freundeskreis und Umfeld reagieren?

Franziskus, der kleine Arme von Assisi, dessen Schar, die sich um ihn sammelte, die sich die minderen Brüder oder Minderbrüder nannten, kannte nur eine Sorge und Aufgabe: „den Spuren Christi folgen“. Diesem Ausdruck begegnen wir in seinen Worten und Schriften immer wieder und das ist gleichzeitig das Stichwort seines Ideals. Franz folgte tatsächlich den Spuren Christi.

Was war aber der Anlass zur Bekehrung, zur Umkehr seines Lebens? Die Antwort: Er war Christus begegnet! Eine einfache Antwort – und wie geschah dies alles? Die erste Begegnung hatte Franziskus im Traum, als eine Stimme ihn fragte, ob es nicht besser sei, dem Meister statt dem Knecht zu folgen. Die zweite Erscheinung war das Erlebnis vor dem Kreuz in San Damiano. Hier sprach der plötzlich lebendig werdende Corpus vom Kreuz zu Franz: „Franz, erhebe dich, stell mein Haus wieder her; es droht einzustürzen“. Bei dem Biographen Celano können wir nachlesen: „Zittern packt Franz am ganzen Leib und er ruft: Mit Freuden werde ich tun, was Du wünschest, Herr.“

Der Zeitpunkt ist gekommen: Christus hat sein Leben geradezu umgestürzt. Franziskus wurde vollständig umgewandelt. Sein künftiges Auftreten und Benehmen erschien vielen seiner Zeitgenossen so fremd, dass sie sich fragten, ob er verrückt geworden sei. Sie alle verstanden aber nichts von allem, denn sie kannten den Schlüssel und Gründe zu seinem Geheimnis nicht. Sie wussten nicht, dass Christus ihm erschienen war und zu ihm gesprochen hatte. Sein Leben erscheint in der Folge Franz wertlos und absurd. Er beweint seine Sünden und er denkt über ein anderes, ganz auf Gott hin ausgerichtetes Leben nach. Das bedeutet, dass er nicht, wie bisher, mit seinen Freuden ausgelassen feiert, sondern sich mehr zum Beten und Betrachten in einsame Grotten und Kapellen zurückzieht. Ihn zieht es viel mehr zu den Armen. Franz erhält durch die beiden Ereignisse die Kraft, vollständig auf sich selbst zu verzichten. Was ihn am meisten abgestoßen hat, was ihm am bittersten erschien, wurde ihm Süßigkeit für Seele und Leib. <süßigkeit>(Testament des hl. Franziskus).</süßigkeit>

In der Praxis zeigt sich dies in der Umarmung eines Aussätzigen, eines Leprakranken also, und er bietet ihm seine Freundschaft an. Von diesem Zeitpunkt an besucht Franziskus öfters die Aussätzigen; seine früheren Freunde und Kameraden meidet er, er will sich nicht mehr an den rauschenden Festen beteiligen oder gar mitorganisieren; er will so bald als möglich Christus folgen. Christus gibt ihm auch die Kraft, auf das väterliche Erbe zu verzichten und ein Leben in totaler Armut zu beginnen. Sein Leben hat sich vollkommen geändert; nicht mehr die bisherigen Werte stellt er in den Vordergrund, sondern Christus steht im Mittelpunkt.

Den Erscheinungen Christi zur Zeit seiner Bekehrung kommt eine sehr große Bedeutung zu. Sie enthüllen das Geheimnis, die Triebfeder seiner Spiritualität: die Liebe.

Bei Celano lesen wir dazu: „In diesem Zustand sprach zu ihm alsbald – unerhört ist´s seit ewigen Zeiten – das Bild des Gekreuzigten, wobei sich die Lippen auf dem Bilde bewegten … Franziskus zitterte und staunte nicht wenig und kam beinahe von Sinnen ob dieser Worte … Wirklich durch und durch spürte er die aussprechliche Wandlung seines Wesens; weil er aber dafür selbst keine Worte finden konnte, kommt es auch uns zu, zu schweigen. Von jener Stunde an durchbohrte seine heilige Seele das Mitleiden mit dem Gekreuzigten und, wie wir fromm glauben können, werden hier seinem Herzen, wenn auch nicht in seinem Fleische, die Male des verehrungswürdigen Leidens tiefer eingedrückt.“ (2 Celano 10).

Franziskus hatte also den Gekreuzigten selbst – nicht nur ein Bild – gesehen und er kann seinen Blick nicht mehr vom Kreuz abwenden. Franz ist erschüttert; Christus ist für ihn nicht abstrakt, sondern Thema des Katechismus. Er ist ein Lebender, ein aus Liebe Gekreuzigter. Das bedeutet für Franziskus: Auf diese Liebe musste er mit Liebe antworten. Die Liebe bildet das Herz seines Ideals. Christus hat ihn mit Liebe verwundet; Franziskus will ihn bis zur letzten Entäußerung nachahmen. Deshalb auch der Grundsatz, den Franziskus nun hat: „Wir müssen die Liebe dessen, der uns so sehr geliebt hat, sehr stark lieben“ (2 Celano 195).

Für Franziskus ist nun klar, er will den Spuren seines Herrn, Jesus Christus, folgen. Ohne Wenn und Aber. Sein Lebensstil, seine Lebensweise hat sich grundlegend geändert. Christus lieben bedeutet für Franziskus: ihm Schritt für Schritt im täglichen Leben folgen, ihn nachahmen; fühlen und denken wie Jesus, handeln wie er. In der Mahnung 6 heißt es deshalb: „Schauen wir hin, wir Brüder allesamt, auf den Guten Hirten, der um seine Schafe zu retten, die Marter des Kreuzes erlitten hat. Die Schafe des Herrn sind ihm nachgefolgt in Trübsal und Verfolgung, in Hunger und Durst, in Krankheit und Anfechtung und in allem übrigen, und sie haben für all dieses vom Herrn das ewige Leben erhalten. Daher ist es eine große Schmach für uns Knechte Gottes, dass die Heiligen große Werke vollbracht haben und wir dadurch Ehre und Ruhm erhalten wollen.“

Der Wunsch des hl. Franziskus für diese Lebensweise drückt sich auch in der Regel aus, nämlich: „Das fleischliche Sinnen drängt und strebt mit Macht danach, Worte zu machen, wenig aber nach Werken. Und es sucht nicht Frömmigkeit und innere Heiligkeit des Geistes, sondern wünscht und verlangt nach einer Frömmigkeit und Heiligkeit, die nach außen hin vor den Menschen in Erscheinung tritt“ (1 Regel 17). Das bedeutet aber, Franziskus will Christus nicht äußerlich kopieren, er will vielmehr die Kräfte der Liebe freilegen und entfalten, welche die Taufe in die Seele gelegt hat. Die Haltung, der Wunsch des hl. Franziskus ist im Gebet zusammen gefasst, das er vor Empfang der Wundmale auf Alverna an den Herrn richtete: „Herr Jesus, um zwei Gnaden bitte ich Dich vor meinem Tode: Erstens, dass ich soviel wie möglich die Schmerzen, die Du, mein gütiger Jesus, in der Passion erdulden musstest, nachfühle. Zweitens, dass ich in meinem Herzen so stark wie möglich die unermessliche Liebe fühle, in der Du, Sohn Gottes, brennst, und die Dich getrieben hat, freiwillig so viele Mühen für uns arme Sünder zu erleiden.“

Franziskus lebte beständig in der Gegenwart Jesu, für Franziskus ist Jesus der Meister, der Herr. Franz ist immer bereit, den Willen des Herrn zu tun, seinem ersten Wink zu folgen (vgl. 1 Celano 115 und 2 Celano 85). Franziskus wurde Jesus immer ähnlicher. Der Biograph Celano gibt auch hier uns das Ergebnis der Anstrengungen und dieses Mitwirkens mit der göttlichen Gnade wieder (2 Celano 211 und 1 Celano 115). Diese Umgestaltung in der Lebensweise des hl. Franziskus bedeutet also: Franz hat sein Ziel erreicht – ein anderer Christus zu sein.

Diese Verwandlung des Lebens besiegelt Gott selbst, indem er ihm die Gnade der Wundmale verleiht! Dabei erschien ihm Jesus der Gekreuzigte in der Gestalt eines flammenden Seraphs.

Wie aber lebte Franziskus nach seiner Bekehrung in der Öffentlichkeit und hatte die Änderung seiner Lebensgewohnheiten nicht nur kurze Zeit angedauert? Nachdem Franz das Tagesevangelium hörte „So geht denn hin und verkündet: Das Himmelreich ist nahe! … Erwerbet kein Geld und kein Silber, keine Münze für eure Gürtel; nehme kein Felleisen auf den Weg, nicht zwei Röcke, keine Sandalen, keinen Stecken, denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert …“ (Mt 10,7-10) war er hingerissen und rief „Das will ich tun“. Von diesem Tage an erlebten die Einwohner von Assisi, wie Franziskus nicht mehr Steine von ihnen verlangte (zum Bau der Kirchlein), sondern Buße und Frieden predigte. Die Lacher nahmen ab, man hörte ihm zu und zog Nutzen aus seinen Ermahnungen.

Einer nach dem anderen schlossen sich ihm an, um mit ihm zu leben, so ein reicher Kaufmann, der all sein Hab und Gut verkaufte und den Erlös in aller Öffentlichkeit den Armen schenkte, ein Rechtsgelehrter und Domherr in Assisi, ein junger Bauer namens Ägidius. Sie alle wollten mit Franziskus im seinem Lebensstil, seiner Lebensweise leben. Um sich ihr Brot zu verdienen, arbeiteten die Brüder anfangs in Bauernhöfen oder Bürgerhäusern, nahmen aber nur Naturalien als Lohn an. Wenn diese zum Lebensunterhalt nicht ausreichten, bettelten sie und pflegten die Aussätzigen in den Siechenhäusern. Franziskus leitete seine Brüder an und war gleichzeitig der Leiter dieser Gemeinschaft. Er verteilte die Aufgaben und entschied über Neuerungen. Er bildete aber seine Gefährten, seine Mitbrüder, auch im Gebet aus und machte sie mit den Forderungen eines Ordenslebens vertraut.

Seine Lebens-, Denkens- und Handelnsweise brachte Franziskus in vielen Dokumenten und Schreiben zu Papier und damit vielen zur Kenntnis. Alle sind von Bedeutung; einige davon sind:

  • Brief an die Gläubigen I (Ermahnung an die Brüder und Schwestern von der Buße – die 1. Regel des III. Ordens) (BrGl I)
  • Brief an die Gläubigen II (BrGl II)
  • Brief an die Kleriker (BrKl I / BrKl II)
  • Brief an die Kustoden I (BrKust I)
  • Brief an die Kustoden II (BrKust II)
  • Brief an die Lenker der Völker (BrLenk)
  • Brief an einen Minister (BrMin)
  • Brief an den gesamten Orden (BrOrd)
  • Erklärung zum Vaterunser (ErklVat)
  • Ermahnungen (Erm)
  • Gruß an die selige Jungfrau Maria (GrMar)
  • Bullierte Regel (BReg)
  • Nicht bullierte Regel (NbReg)
  • Lobpreis Gottes (LobGott)
  • Sonnengesang ( Sonn)
  • Das Testament (Test)
  • Die wahre und vollkommene Freude (VollFreud)
  • Testament von Siena (TestSien)

Wie Franziskus sein Leben auf Jesus, auf seine echte Nachfolge ausrichtet, ist aus den Ermahnungen zu erkennen. Hier können beispielsweise einige Kapitel namentlich auf das Ideal des Franziskus verweisen. Einzelne Kapitel tragen den Titel:

  • 1. Kapitel: Vom Leib des Herrn
  • 2. Kapitel: Vom Übel des Eigenwillens
  • 3. Kapitel: Vom vollkommenen Gehorsam
  • 5. Kapitel: Dass niemand sieh stolz erhebe, sich vielmehr im Kreuz des Herrn rühme
  • 6. Kapitel: Von der Nachahmung des Herrn
  • 7. Kapitel: Dass gutes Wirken dem Wissen folgen soll
  • 8. Kapitel: Von der Sünde des Neides, die man meiden soll
  • 9. Kapitel: Von der Liebe
  • 13. Kapitel: Von der Geduld
  • 14. Kapitel: Von der Armut im Geiste
  • 15. Kapitel: Vom Frieden
  • 18. Kapitel: Vom Ertragen des Nächsten
  • 19. Kapitel: Vom demütigen Knecht Gottes
  • 23. Kapitel: Von der Demut
  • 24. Kapitel: Von der wahren Liebe
  • 26. Kapitel: Von der Tugend, die das Laster verjagt

In der Regel und in den Ermahnungen wird die Christusnachfolge deutlich und unter welchen Bedingungen sie zu erreichen ist. Franziskus hat das Evangelium gelebt und damit den vom Herrn Jesus Christus erhaltenen Auftrag zur Erneuerung der Kirche erfüllt. Franziskus sah in all seinem Tun und Handeln Christus. Für Franziskus gab es kein Wenn und Aber und kein Zurück und kein Ausweichen; der Herr Jesus Christus war für ihn Maßstab zur Nachfolge. Deshalb wird er auch zu Recht als Zweiter Christus bezeichnet.

Datum: 04.01.2013
Autor: Andreas Röhrer